Wer sind eigentlich diese Lesefüchse? Was treibt sie an, freiwillig einmal wöchentlich Kindern in Grundschulen und Bibliotheken vorzulesen? Welche Erfahrungen haben sie selbst in Ihrer Kindheit mit dem Vorlesen gemacht? Und was sind das überhaupt für Leute, woher kommen sie und wie sind sie bei den Lesefüchsen gelandet?
Diese und andere neugierige Fragen waren es, die Frau Prof. Dr. Inckemann und ihr Team vom Lehrstuhl für Grundschulpädagogik und Didaktik der LMU den Lesefüchsen stellten. 295 Fragebögen wurden im Rahmen einer groß angelegten Studie an die aktiven Vorleser verschickt. Knapp die Hälfte kam ausgefüllt zurück, eine einigermaßen befriedigende Quote, die in jedem Fall ausreichte, repräsentative und aussagekräftige Ergebnisse zu gewinnen.
Die Präsentation dieser Ergebnisse fand nun am 2. Oktober an der Universität statt. Ca. 50 interessierte Lesefüchse durften neben Rektorin Claudia Schenkel und Klassenlehrerin Susanne Steffens von der beteiligeten St.-Martin-Schule, neben Schulamtsdirektorin Beate Eckert-Kalthoff, Stefanie Reichelt vom Kulturreferat der Stadt und Polizeidirektor Christian Gruber für 2 Stunden die harten Bänke eines Hörsaals drücken – für viele nicht das erste Mal, denn dies ist eine der markantesten Erkenntnisse der Studie: Lesefüchse sind überdurchschnittlich gut ausgebildet, fast die Hälfte besitzt einen Hochschul- oder Fachhochschulabschluss
Und viele wollen offensichtlich auch etwas von der eigenen Bildungserfahrung weitergeben: 90 von 141 Befragten gaben an, mit dem Vorlesen Kinder in ihrem Lernprozess unterstützen zu wollen. Übertroffen wurde dies nur von der eigenen Freude am Vorlesen, die 84% der Vorleser als Motiv für die ehrenamtliche Tätigkeit angaben. Der „typische Lesefuchs“, so die Autorinnen der Studie weiter, ist weiblich (77%), zwischen 62 und 72 Jahren alt (58%), nicht mehr berufstätig (80%) und seit mehr als drei Jahren als Vorleser tätig (56%). Positive Vorleseerfahrungen in der Kindheit haben ihn dazu gebracht, auch den eigenen Kindern sowie Enkeln, Nichten und Neffen und anderen Kindern „oft“ bis „sehr oft“ vorzulesen. Mit dem beginnenden Ruhestand haben dann viele – meist angeregt durch Medienberichte – zu den Lesefüchsen gefunden.
64% der Befragten lesen in Schulen vor, 35% sind in Bibliotheken aktiv, und hier wie dort ist eine der wichtigsten Fragen: Was lesen wir vor? Die Vorleser selbst bevorzugen lustige Geschichten, Tiergeschichten, Abenteuer und Märchen. Bei den Kinderwünschen sind deutliche Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen erkennbar: Tiergeschichten und vor allem Märchen werden von den Mädchen bevorzugt, Abenteuergeschichten von den Jungs. Lustig haben es beide gern. In jedem Fall kommen Vorleser wie Kinder zu ihrem Recht: „Mitbestimmung“ wird groß geschrieben, wobei die Vorleser in der Regel eine Vorauswahl treffen.
Beim Vorlesen selbst stellen fast alle Vorleser anregende Zwischenfragen an die Kinder, mehr als die Hälfte unterhalten sich nach dem Vorlesen mit den Kindern über die Geschichte. Insgesamt reagieren die meisten Lesefüchse recht flexibel, je nach Situation wird von zwei Dritteln die Vorlesesituatiuon angepasst. Und wenn es mal etwas lauter wird, die Kinder unruhig sind oder stören, werden vor allem „sanfte“ Methoden wie „Ermahnen“ und „Kinder einbeziehen“ gewählt, um die Lage zu beruhigen. Ein großes Lob ernten die Lesefüchse hier von den Experten der Universität, nach deren Einschätzung sie „pädagogisch sinnvoll“ mit Störungen umgingen.
Und was haben die Lesefüchse selbst von ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit? 89% der Befragten empfinden ihr Engagement als „bereichernd“, gut die Hälfte begreift es als Herausforderung, „beglückt“ zeigen sich immerhin 33%. „Enttäuscht“ sind nur zwei der Befragten und als Belastung empfindet keiner der Vorleser sein Tun.
Als Voraussetzungen für ein Engagement bei den Lesefüchsen werden Erfahrungen mit und die Liebe zu Kindern genannt, Freude am Lesen und Vorlesen, Geduld und Einfühlungsvermögen sowie ein konsequentes Auftreten. Dieses Rüstzeug scheinen die Vorleser auch mehrheitlich mitzubringen, zum Wohl der Kinder – und auch für das eigene Erleben eines befriedigenden Ehrenamtes. Denn auf die Frage, ob sie die Tätigkeit als Vorleser weiterempfehlen können, sagen nicht weniger als 100% der Lesefüchse eindeutig: JA!
Martin Boehm