Politische Bildung in den vierten Klassen

„Viel Vergnügen möchte ich Euch nicht wünschen. Dazu ist dieses Buch zu ernst und zu traurig. Aber am Ende werdet ihr sicher sagen, das war eine sehr inter­es­sante und berüh­rende Geschichte.“ So kündigte Annegret Hillinger vor der vierten Klasse von Carina Wenda die Lesung von Anne Frank an. Die ergrei­fenden Tagebuch­no­tizen und die Erzählung von dem Leben des 12jährigen jüdischen Mädchens waren der Auftakt für die 22 Jungen und Mädchen, sich mit der Thematik „Toleranz, Ausgrenzung und Gewalt“ gegenüber Mitbürgern und Minder­heiten zu beschäf­tigen. Gemeinsam mit dem Histo­riker Dr. Thomas Rink vom NS-Dokumen­ta­ti­ons­zentrum besuchen die Lesefüchse seit sechs Jahren Grund­schulen in München. Mit der Geschichte von Anne Frank, die sich gemeinsam mit ihrer Familie und anderen Juden auf engstem Raum in einer Dachwohnung eines Hinter­hauses in Amsterdam versteckt hatte, 

gibt es einen Zugang zur Erleb­niswelt auch heutiger Kinder. Jetzt wurde bei Viert­klässlern in der Grund­schulen Walliser Straße und  Scherer­platz vorge­lesen. Die Schulen Winthir­platz und Nadistraße werden im Juni folgen.

Als die deutsche Wehrmacht Holland überfiel, versteckte sich die Familie Frank in einem Hinterhaus und lebte dort zwei Jahre unbemerkt. In diesen zwei Jahren schrieb das Mädchen ihr weltbe­rühmtes Tagebuch. Wie muss es sich für sie anfühlen, dass sie ihre kleine Katze allein zurück­lassen musste, weil sie womöglich eine Gefahr darstellen konnte? Wenn man den ganzen Tag nicht die Toilette nutzen darf, nur weil jemand im Haus die Wasser­spülung hören könnte und dann die Familie an die Nazi-Schergen verraten würde?  Letzt­endlich ist dann genau das passiert – nach zwei Jahren höchster Vorsicht. Ein halbes Jahr vor Kriegsende wurde die Familie verschleppt und Anne starb in einem Gefan­gen­lager der Nazis an Typhus.

Die Geschichte von Anne Frank, in der kinder­ge­rechten Übertragung von Josephine Poole wurde sehr gefühlvoll vorge­tragen von Brigita Lukowitz. Anschließend berichtete Dr. Rink über die  Nazizeit und erzählte wie sich die in der Geschichte erzählten Details für die Familie und im Alltag auswirkten. Seit der Macht­über­nahme gab es gegen Juden vielfältige  Repres­salien, die sich von Jahr zu Jahr verstärkten und bedroh­licher wurden.

Politische Bildung in den vierten Klassen, das bedeutet, dass die Schüler und Schüle­rinnen einen ersten Einblick in die Zeit des Natio­nal­so­zia­lismus und den wichtigen Frage­stel­lungen in unserer heutigen Zeit erhalten. Initiiert wurde dieses Projekt seitens der Lesefüchse von Annegret Hillinger und Felzitas Raith und Dr. Thomas Rink vom NS-Dokumen­ta­ti­ons­zentrum München.

Am folgenden Tag besuchten alle vierten Klassen das NS-Dokumen­ta­ti­ons­zentrum am Königs­platz. Dort wurden die Symbolik der Natio­nal­so­zia­listen, die Geschichte der NS-Bauten am Königs­platz, die Geschichte von einem jüdischen Rechts­anwalt, der von der SA auf der Straße gedemütigt wurde und manch anderes inter­es­sante Thema behandelt. Die Mitar­beiter des Zentrums beant­wor­teten die vielen Fragen der Kinder mit großer Gemütsruhe und Sachlichkeit, umfas­sender Kenntnis und sehr viel pädag­ago­gi­schem Fingerspitzengefühl.

“Es waren großartige Stunden, die zu sehr inter­es­santen Diskus­sionen angesichts der aktuellen politi­schen Verhält­nisse in den Klassen führten”, meint Stefan Inderst, Rektor der Walliser Schule. “Für die Lehrkräfte und mich steht fest, dass dieser Teil der politi­schen Bildung ein Bestandteil des Konzeptes unserer Schule wird. Mein Dank geht neben Frau Raith ebenso an Frau Hillinger und Frau Schulte sowie an Frau Grümmer und Frau Heller­brand, die am ersten Tag ebenfalls vorlasen.”

(hpm, si)